Eröffnung: Mi 26. Februar 2020, 19:00 Uhr
Opening: Wed February 26, 2020, 7:00 pm
Mit Leslie Thorntons Ausstellung GROUND präsentiert der Kunstverein Nürnberg – Albrecht Dürer Gesellschaft die erste europäische institutionelle Einzelausstellung der amerikanischen Künstlerin und Filmemacherin. Seit über vier Jahrzehnten arbeitet sie an einem spartenübergreifendes Œuvre, das die Medien Film, Fotografie und Installation umfasst und zusammenführt. Ihr Film “Ground” (2020) skizziert das Formwerden einer Realität, in der die Basis oder der Grund – sowohl im Sinne des Malgrunds als auch dem physischen Boden, von deren Schwerkraft die menschliche Existenz seit jeher angezogen wird – sich von historischen Definitionen loslöst.
Das Filmmaterial entstand während zweier Residencies der Künstlerin am CERN und am Caltech sowie bei Aufenthalten in Los Angeles und Oslo. Die untere Hälfte des Hauptmotivs von Ground stellt das Ballungsgebiet von Los Angeles – ein Ort, der vom Tempo seines Verkehrs, vom geschäftigen Treiben der Menschen bestimmt wird – einer am CERN aufgenommenen Himmelslandschaft gegenüber, durch die ein Wissenschaftler schlendert, der seine Tätigkeit und seine Gefühle beschreibt. Durch den Einsatz von Effekten einer Filmbearbeitungssoftware wird sein materieller Körper zu Frequenzen, Linien und Gittern reduziert. Seine Stimme klingt allzu menschlich, wenn er ansetzt: „Ich widmete mein Leben…“, nur damit Thornton den Satz mit „…dem Verfall“ aus dem Off zu Ende führt. Während der Forscher von bestimmten wissenschaftlichen Prozessen spricht, scheint der Film einen anderen Verfallsprozess zu anzudeuten: den Verfall oder das Lockern der indexikalischen Beziehungen, die unsere Realität geschichtlich geformt haben. Bewegt sich der Wissenschaftler, zittern und verdichten sich die Linien, die seine Umrisse andeuten, und generieren so einen Bildraum, der unablässig zwischen Tiefe und Oberfläche oszilliert.
Später berührt die unbearbeitete, deutlich erkennbare Hand einer anderen Wissenschaftlerin eine Glasfassade, durch die ein automatisierter Serverraum sichtbar wird. „Menschen haben hier keinen Zutritt“, erklärt die Wissenschaftlerin, denn Haut produziere Staub, der die Funktion des Systems beeinträchtigen könne. „Die Maschine agiert auf einer kartesischen Ebene“, fährt sie fort. Die komplexe und unergründliche digitale Infrastruktur des CERN ist entlang der einfachen räumlichen Koordinaten x, y und z ausgerichtet – jenem Raum, der auch einem Renaissancegemälde zugrunde liegt.
Die Wirkung von “Ground” ist überwältigend räumlich – eine Art mechanische Poesie, die die beunruhigenden Auswirkungen eines atmosphärisch-pulsierenden, epistemologischen Wandels aufzeichnet, der den zunehmenden Einfluss der Maschinen auf die Organisation der menschlichen Wahrnehmung und auf das menschliche Denken als Ausgangspunkt nimmt. Dieser sich beschleunigende Zustand, der zwar fühlbar, aber größtenteils unsichtbar ist, nimmt die Form, zugleich abstrakt und konkret, automatisierter Serverräume, schwebender Netzfrequenzen und dichter, unterirdischer Kabel an. Ground ist ein brutales Werk. Es geht der endlosen und unbestimmten Komplexität des fortlaufenden Projekts der menschlichen Wissensproduktion nach, während es dessen träge, latente oder in der Schwebe befindliche Wirkung – mal auf schöne, dann auf desorientierend Weise – an die menschliche Existenz kettet.
Die Ausstellung zeigt weiterer Arbeiten von Thornton aus den letzten vier Jahrzehnten, darunter “Cut from Liquid to Snake” (2018), “The Last Time I Saw Ron” (1994) und “Jennifer, Where Are You?” (1981), sowie ihr einzigartiges, über einen Zeitraum von dreißig Jahren entwickeltes Projekt “Peggy and Fred in Hell” (1983-2016).
Zu den aktuellen Einzelausstellungen von Leslie Thornton gehören “Leslie Thornton: Cut from Liquid to Snake” bei Rodeo, London, und “SO MUCH MUCH” bei Unit 17 in Vancouver, beide 2018, eine Retrospektive an der Brooklyn Academy of Music im Jahr 2017 und “OF NECESSITY I BECOME AN INSTRUMENT” in der South First Gallery im Jahr 2016. Zuletzt waren ihre Arbeiten unter anderem in den Gruppenausstellungen “New Order: Art and Technology in the Twenty-First Century” im MoMA, New York, im Jahr 2019 und “The Inoperative Community” bei Raven Row (2015) zu sehen.
James Richards und Leslie Thornton haben für eine Reihe von Werken, Ausstellungen und Filmscreenings zusammengearbeitet. Zuletzt wurde ihre Ausstellung “SPEED” in der Malmö Konsthall (2019) und im Künstlerhaus Stuttgart (2018) gezeigt. Gemeinsam haben sie auch in der Secession, Wien (2018), in der Julia Stoschek Collection, Berlin (2017), und der Kestnergesellschaft, Hannover (2016) ausgestellt. Ihre Arbeiten wurden in der Tate Modern (2020), an der Biennale de l’Image en Mouvement in Genf (2018), der Whitney-Biennale (2017) und im Walker Art Center (2015) gezeigt. Das Material für Thorntons neue Arbeit Ground wurde während Residencies am Caltech und am CERN im Jahr 2019 und während einer weiteren Residency mit James Richards am CERN im Jahr 2018 aufgenommen.
Leslie Thornton ist 1951 in Knoxville, Tennessee, USA geboren. Sie lebt und arbeitet in New York.